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Unter Dummköpfen und Wilden

Das Streben des Menschen, das Ziel, für das er seine Ehre einsetzt, besteht darin, Natur und Vernunft zuwider zu handeln.

Der männliche Partner ist für viele kurzlebige Liebesverhältnisse geschaffen: Man zwingt ihm in Gestalt der Ehe eine einzige und beständige Liebe auf. Das Kind mißachtet von Natur aus seine Eltern und nimmt an ihnen kein Interesse; man zwingt es, sie zu achten, sie zu lieben, sie zu ernähren, sich notfalls für sie zu opfern und zwar für die Dauer eines halben Jahrhunderts. Der heranwachsende Jüngling vernimmt schon vom zwölften Lebensjahr an die Stimme der Lust: man gönnt ihm kein Mittel, ihr nachzugeben, bevor er nicht ein bestimmtes Alter, das achtzehnte Lebensjahr rund gerechnet, erreicht hat. Das junge Mädchen ist in einem bestimmten Alter zur Frau geworden: wird sie ohne Standesamt eine Frau, zeigt man mit dem Finger auf sie. Die Homosexualität ist ein reiner Naturtrieb: Man gibt sie für ein Laster oder eine Krankheit aus; sie bringt den Menschen ins Gefängnis oder auf den Scheiterhaufen.

Das sind nur ein paar wenige Beispiele. Nehmen wir dazu noch die Religionen, die sämtlich auf die Widernatur oder die Widervernunft gegründet sind. Nehmen wir ferner hinzu die politischen und sozialen Ideologien, die in zwei von drei Fällen ungesund sind und stets mit Katastrophen schwanger gehen, weil der gesunde Verstand, wenn man ihn zu lange kränkt, eines Tages Rache nimmt. Ist es angesichts dieser Verhältnisse so verwunderlich, daß die Menschheit nicht aufhört zu leiden? Man kommt unter dieser Glocke von abergläubischen Anschauungen und falschen Vorstellungen zur Welt, wird unter ihr groß, muß unter ihr weiterleben und ist sich klar darüber, daß man unter ihr sterben wird, und daß man nicht einen einzigen Tag gelebt haben wird, ohne daß Ideen von Dummköpfen und Sitten von Wilden einen am Gängelband halten, wider die zu verstoßen oder auch nur in Worten anzugehen gefährlich ist. Man wirft ihnen seine Kinder wehrlos vor, oder man gibt ihnen Waffen mit, die sich genauso gegen sie kehren wie das Übel selber. Man sagt sich, das alles sei von jeher so gewesen, auf der ganzen Erde. Man versucht darüber zu lächeln; man nimmt eine philosophische Haltung ein. Man ist davon im Innersten bedrückt.

Henry de Montherlant